Kaija Knauer
Das Grosse Gewölk
Relativ lange geschah trotzdem nichts. Die Parks draussen warteten, die Kirschen an den Kirschbäumen am Stadtrand warteten, Storen wurden hoch- und runtergelassen, Mückenschwärme verdichteten sich und splitterten wieder auf.
Irgendwann öffnete jemand das Fenster, streckte den Kopf raus auf die menschenleere Strasse, guckte in den Himmel, immer noch nichts, und schloss das Fenster wieder.
Je nach dem, wenn man im Nachhinein fragte, wurden unterschiedliche Bilder der Situation gezeichnet:
In den Stunden, in denen die Internetverbindung stabil genug war, schaute ich Dokus über extraterrestrisches Leben, ich dachte, dass täte mir gut für eine andere Raum-Zeit-Erfahrung aber ehrlichgesagt wäre es auch einfach der ideale Zeitpunkt gewesen für eine Psychose.
Ich muss gestehen, dass bei mir schon nach den anfänglichen Weisungen die Katastrophengeilheit kickte und ich mich zum erste Mal in meinem Leben 100% lebendig fühlte.
Irgendjemand hatte ja Dosen angelegt, so dass wir wussten, dass wir im Fall der Fälle bis in den frühen Hebst hinein versorgt wären. Nur gab es, wahrscheinlich einem Zahlendreher geschuldet, ein Missverhältnis von Bohnen- und Fruchtcocktaildosen von etwa 1:4, so dass es für die mit Steinobstallergien zunehmend bedrohlich geworden wäre, hätte man nicht von Anfang an strikt und solidarisch rationiert.
Die Zukunft lag da wie ein lauerndes Tier, aber das ist ja immer so, oder?
Erst spielten wir Fadenspiele, dann wurde uns langweilig, dann machten wir Fitnessvideos, da war uns etwas weniger langweilig.
Was mich, glaub ich, rettete, war, das ich irgendwann anfing, uns zu filmen, ich hatte ja immer noch diese Cam mit mir. Und ich begann, mit einem Aussenblick draufzuschauen, was mich, glaub ich, in eine emotionale Distanz versetzte, mit der sich das alles aushalten liess.
Das schwierigste für mich waren die Gerüche. Ist dir schon mal aufgefallen, dass manche Menschen, unabsichtlicher Weise, riechen wie feuchtes Metall?
Ich war unglücklich verliebt, und schwankte zwischen dem Gefühl, dass diese Umstände grad alles viel mieser oder viel erträglicher machten.
In solchen Situationen prägen sich gewisse Dynamiken in Gruppen immer nochmal extremer aus, und ich weiss echt nicht was Tills scheiss Problem war, warum er nicht einmal in diesen ganzen Wochen einen scheiss Lappen in die Hand nehmen und hinter sich aufräumen konnte.
Als es dann hiess, das Grosse Gewölk habe sich durch einen plötzlichen Wechsel der Windrichtungen aufgelöst, glaubte das niemand so richtig, wobei die Meinungen auseinandergingen: Entweder persistierte GG nach wie vor, hiess es, während andere Stimmen meinten, sie hätten ohnehin nie wirklich an die Echtheit des Gewölks geglaubt.
Erstens wechselten die Windrichtungen hier nicht einfach so mir nichts dir nichts, und zweitens hätte sich, wäre die Zusammensetzung von GG tatsächlich so gewesen, wie man uns wochenlang gewarnt hatte, eine leichte Verfärbung des Himmels mindestens andeuteten müssen. Einzig das konsequente Fernbleiben der Schwalben, und das, obwohl sich die Mücken wolkenweise durch die Strassen bewegten, konnte sich niemand erklären.
Das Kirschfleisch der Kirschen hing, als wir dann wieder an die Stadtränder fuhren, rot und unversehrt in den Baumkronen, als wäre die Zeit nie vergangen, und in dieser Aussenwelt ohne Fäule-, Säure- oder Wurmflecken stellte sich die Frage, wohin sich die Sommertage zwischenzeitlich verkrochen hatten zunehmend als unbeantwortbar heraus.