„Weissbrotmusik“ von Marianna Salzmann

Sie sind für uns abfällig die Tschuschen, wir für sie die Schwabos. Sie sind die Kanaken, wir für sie das Weißbrot. Folgerichtig heißen auch alle Geräusche, Laute, Töne der Einheimischen in dem für sie fremden Land: Weißbrotmusik.

Die junge russischstämmige Autorin Marianna Salzmann, ausgezeichnet mit dem exil-DramatikerInnenpreis 2009, gestiftet von den WIENER WORTSTAETTEN, erzählt in ihrem Stück von der Identifikationssuche Jugendlicher mit Migrationshintergrund. Mehr Song als Theaterstück variiert sie in knappen Situationsfragmenten eine Geschichte über Freundschaft, Liebe und Versagen im Spannungsfeld dreier Religionen.

Mit Tania Golden, Claudia Kottal, Marcel Mohab, Boris Popovic und Renato Uz

Regie: Hans Escher
Ausstattung & Kostüme: Renato Uz
Musik: Sweet Susie
Lichtgestaltung: Stefan Pfeistlinger
Dramaturgie: Wolfgang Stahl

Eine Produktion der WIENER WORTSTAETTEN in Kooperation mit Theater Nestroyhof/Hamakom

Premiere: 19. Oktober 2010, 20.00 Uhr
Folgetermine: 20.-23.10. und 26.-31.10, jeweils 20.00 Uhr

Wiederaufnahme:
31.3., 1.4., 5.-8.4. und 12.-15.4.2011

Theater Nestroyhof/Hamakom
1020 Wien, Nestroyplatz 1
www.hamakom.at

Autorin Marianna Salzmann im Gespräch mit Regisseur Hans Escher

Pressestimmen:
„Die unerbitterliche Musik der Ablehnung“ Der Standard, 21.10.2010
„Kurzweilig und aktuell“ Wiener Zeitung, 20.10.2010

Interview mit Marianna Salzmann

Die ProtagonistInnen von „Weißbrotmusik“ (Moslem/Muslima und Jude in einem christlichen Land) wirken direkt aus dem Leben einer europäischen Großstadt gegriffen, wie recherchieren Sie deren Lebenssituationen bzw. Sprache? Wie kamen Sie auf die Figurenkonstellation?

Marianna Salzmann: „Weißbrotmusik“ ist sehr direkt entstanden aus der Wut über die in Deutschland geführten Diskussionen. Die Recherche war nicht kompliziert, denn ich war nach dem Vorfall in München 2007 umgeben von Stellungnahmen von PolitikerInnen, vermeintlichen ExpertInnen und RepräsentantInnen des deutschen Bürgertums, die Berichte, Reportagen über junge Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund ausweideten. Man konnte sich dem nicht verschließen. Ich musste nur die Informationen kanalisieren. Die Figurenkonstellation hat mit meinem Interesse darüber zu tun, dass man in Deutschland überaus vorsichtig über Juden spricht, aber bei allen anderen Nationalitäten Thesen aus den 1950er Jahren wieder rausgekramt. In dem authentischen Fall in der Münchener U-Bahn war der eine Täter Türke, der andere Grieche. Und ich habe mich gefragt, wie Deutschland diskutieren würde, wenn einer von den beiden einen jüdischen Hintergrund hätte. Das Rassendenken ist so präsent in diesen Diskussionen – ob es ihnen auffallen würde, dass sehr ähnliche Denkweisen vor 80 Jahren auch schon populär waren. Deutschland glaubt, sehr weit zu sein in der Aufarbeitung der Geschichte. Man muss reagieren.

Musik spielt in „Weißbrotmusik“ eine wichtige Rolle, welche Funktion hat für Sie die Musik im Stück? Sie nennen beispielsweise konkrete Titel der RapperInnen Eminem oder Lady Bitch Ray, doch steht es dem Regisseur frei, diese einzubauen. Wie klar ist Ihre Vorstellung von einer Inszenierung während des Schreibprozesses, welche Erfahrungen haben Sie mit der Umsetzung Ihrer Stücke gemacht?

M. S.: Selim Özdogan hat gesagt „Die Musik ist ein Raum. Man lebt in ihr.“ Musik gehört zu meinem Leben, also auch zu meinem Schreiben. Musik inspiriert mich zu Texten, Situationen und Figuren. Aber das alles gilt nur für mich. Wenn ich an einem Text arbeite, dann suche ich mir einen Soundtrack dazu zusammen und erwähne einzelne Sachen manchmal im Stück als Anhaltspunkt oder Anregung für die Regie. Auf der Bühne muss dann etwas Neues entstehen und nicht das Bild aus meinem Kopf reproduziert werden. Ich suche keine szenische Bebilderung meiner Texte. Ich suche eine Antwort auf meine Fragen. Wenn die Zusammenarbeit mit der Regie gut ist, können wir gemeinsam durch die Umsetzung auf der Bühne welche finden. Das sind meine positiven Erfahrungen mit Umsetzungen meiner Stücke. Am besten funktioniert es, wenn ich die Leute der Produktion und ihre Arbeit kenne. Es gibt auch die Abende, von denen ich mich distanzieren muss, weil meine Ideen als Textfläche für postmoderne Publikumsbefriedigung benutzt werden ohne weiter zu denken als an den Prosecco danach. Das passiert aber nicht mit Gleichgesinnten.

Für Ihr Stück „Weißbrotmusik“ wurden Sie 2009 mit dem exil-DramatikerInnenpreis, gestiftet von den WIENER WORTSTAETTEN, ausgezeichnet. Wie wurden Sie auf diese Preisauslobung aufmerksam?

M. S.: Mein damaliger Dozent an der Universität der Künste hat darauf gedrängt, dass ich den Text einschicke. Ich habe mich mit den WIENER WORTSTAETTEN beschäftigt und dachte, das ist die richtige Plattform für „Weißbrotmusik“.

Sie sind eine junge erfolgreiche Dramatikerin: Wie kam es dazu, dass Sie Texte für das Theater schreiben? Drücken Sie sich auch in anderen Textformen – wie Prosa und Lyrik – aus?

M. S.: Theater ist unmittelbar, direkt und kann – freilich nicht an Staatstheatern – fast sofort auf aktuelle Themen reagieren. Die direkte, politische Form, das direkte Ansprechen des Rezipienten ist mir momentan für meine Arbeit am wichtigsten. Ich bewundere Prosa sehr und teile den Wunsch vieler KollegInnen irgendwann einen Roman zu veröffentlichen. Aber eben nicht jetzt. Lyrik schrieb und schreibe ich immer parallel zu allem, was ich sonst mache. Das gehört zu mir. Aber es ist nichts, womit ich rausgehen und an andere appellieren möchte.

Sie publizieren mittlerweile beim Verlag der Autoren, hilft, bzw. in welcher Form hilft dieser, um seine Stücke bei DramaturgInnen/RegisseurInnen/IntendantInnen bekannt zu machen. Wie sorgt man überhaupt als junge/r Autor/in dafür, dass die eigenen Stücke aufgeführt werden?

M. S.: Mein Verlag ist für mich vor allem Berater und Unterstützer. Von der anderen Arbeit kriege ich nichts direkt mit, weil die Wege am Betrieb so ewig kompliziert sind. Ich nutze die Zusammenarbeit vor allem für Lektorat und profitiere von den Kenntnissen des Marktes. Ich glaube, wenn man als junger Autor unmittelbar Stellung beziehen will, sollte die Hauptarbeit nicht über den Verlag gehen, dafür ist der Weg zu langwierig. Ich finde es großartig, mir aussuchen zu können, mit welchen jungen Theatermachern ich arbeiten kann und das läuft über Netzwerke. Sobald die Namen bekannt sind an großen Häusern, wird das Tempo unendlich verlangsamt, die Leute sind nicht mehr flexibel und die Aussagen der Abende müssen angepasst werden. Darum bin ich für Eigenorganisation.

An welchem Stück arbeiten Sie aktuell? Werden Sie auch wieder selbst inszenieren?

M. S.: Aktuell arbeite ich an mehreren Projekten: Zum einen hat Ende September in Hannover ein anderes Stück von mir Premiere „Nudisten Barbecue“ und ich begleite die Produktion unter der Regie von Nora Otte. Das Stück handelt von einer Selbstmordattentäterin mit russischem Hintergrund, die sich in Deutschland in die Luft sprengt. Außerdem schreibe ich an einem Text für einen Abend über Jeanne d´Arc und das Phänomen des Stimmenhörens, der im November rauskommt. Dafür höre ich mir Interviews an von Betroffenen, Ärzten und Historikern und versuche den Spagat zwischen O-Ton und Fiktion. Inszenieren hat mich schon immer gereizt und ich denke, ich werde es später auch wieder in Angriff nehmen, aber jetzt bin ich im Schreiben angekommen und habe das Gefühl, damit für mich die beste Ausdrucksform gefunden zu haben. Wenn ich später wieder Regie führe, dann bin ich um diese Erfahrung des Autorseins und um den Text Bluten reicher. Eine Sache würde ich nur jetzt nicht mehr machen: Eigene Texte inszenieren. Das ist so, als würdest du dir selber versuchen, deine Fragen zu beantworten und anstatt zu finden, bestätigst du dich immer nur selber in deiner eigenen Meinung.