Yade Yasemin Önder gewinnt den exil-Dramatiker*innenpreis 2024

Der exil-DramatikerInnenpreis 2024 vergeben von den WIENER WORTSTAETTEN in Kooperation mit dem Schauspiel Leipzig und dem Verein exil geht an YADE YASEMIN ÖNDER für ihr Stück „Bu sözler bizim – Die Worte gehören uns“.

Foto: Carolin Saage

Juryspruch

„wenn die dinge nicht mehr stimmen
müssen sie sich neu verbinden“

Diese kluge Einschätzung stammt von einer besonderen Figur in Yade Yasemin Önders „Bu sözler bizim – Die Worte gehören uns“. Ungefähr in der Mitte des Stücks sorgt sie für eine große Überraschung, indem sie einfach das Wort ergreift. Die Figur heißt Herr Couch und ist auch tatsächlich eine Couch, die nicht nur spricht, sondern auch fliegt. Im Figurenverzeichnis taucht Herr Couch noch überhaupt nicht auf. Dort wird uns aber die Familie vorgestellt, die zu seinem Wohnzimmer gehört: „Lale ist zehn, Lilo ist zwölf, Papa ist Friseur, Mama war mal Journalistin.“ Dazu gesellt sich der Hinweis, dass die grün markierten Textstellen auf der Bühne in türkischer Sprache gesprochen werden sollen.

Und so klingt bereits im Nebentext an, was sich liebevoll spielerisch und mit größter Sorgfalt auch durch die Dialoge der Figuren und sogar das Schriftbild zieht: die Suche nach der eigenen Sprache, die Suche nach der eigenen Identität. Denn während die Couch in dieser Figurenkonstellation völlig unverhofft drauflosplappert, ist die Mama von Lale und Lilo auf sonderbare Weise abwesend und verstummt. Dass sie Journalistin war und eben nicht mehr ist, eröffnet nach und nach eine politische Dimension, in der sie selbst jedoch überhaupt nicht zu Wort kommt. „wir wohnen irgendwo in deutschland“ lautet der erste Satz von Lale. Dass die Familie nicht in der Türkei lebt, hat mit Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit zu tun. Diese Vermutung drängt sich auf, Details dazu erfahren wir aber kaum, denn mit der zehnjährigen Lale als Erzählstimme teilen wir ihre kindliche, keineswegs aber naive Perspektive. Lales Erzählung verschneidet sich mit den Dialogen. Während ihre Mutter vermutlich durch Zensur und Flucht ihre (politische) Sprache verloren hat, ist es bei Lale das Türkische, das aufgrund der eigenen Familiengeschichte als Sprache verloren scheint. Doch sie und ihr Bruder Lilo gehen sehr weit auf ihrer Suche nach den Worten und den eigenen Wurzeln. Sie springen in das Meer aus Worten und fliegen auf Herrn Couch über Länder und Erinnerungen. Mit den Worten, die sie auf ihrer Reise finden, basteln sie an einer gemeinsamen Sehnsucht, sammeln Erinnerungen an ein Früher, das es für ihre Familie nicht mehr zu geben scheint, an ein Land und ein Leben, das es so vielleicht nie gegeben hat. Es ist eine Traumreise, die wir mit Lale und Lilo erleben, aber es ist gleichzeitig auch unsere Lebenswirklichkeit, dass die Sprache fließt, wir eben nicht alles verstehen und immer wieder unterwegs sind auf der Suche nach den eigenen, den inneren Worten.

„Bu sözler bizim – Die Worte gehören uns“ ist ein anspruchsvolles und empathisches Theaterstück für ein junges Publikum jeden Alters. Es ist eine Spielvorlage für ein mehrsprachiges Ensemble, die einer Couch Flügel verleiht, ihren Figuren und deren Anliegen definitiv eine starke Stimme verschafft.

Für die Jury verfasst von Matthias Döpke

Über die Autorin:

Yade Yasemin Önder, 1985 in Wiesbaden geboren. Dort und in Kaiserslautern aufgewachsen. Nach dem Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg studierte sie Literatur- und Erziehungswissenschaften an der HU Berlin, Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin.
auf der Shortlist des Fontane-Literaturpreises und sie erhielt das Werkstipendium des Deutschen Literaturfonds. Im Frühjahr 2024 erschien der Kollektivroman „Wir kommen“ bei DuMont, dessen Mitautorin sie ist. Sie lebt in Berlin und arbeitet an ihrem zweiten Roman.

Über den exil-Dramatiker*innenpreis

Seit 2007 unterstützen die WIENER WORTSTAETTEN die exil-Literaturpreise, eine Initiative des Vereins exil, mit einem Preis in der Kategorie „Drama“.
In diesem Jahr wurden beim international ausgeschriebenen Wettbewerb 87 Stücke von Autor*innen aus ganz Europa eingereicht.
Die Jury bildeten Christine Wahl (Journalistin und Theaterkritikerin), Matthias Döpke (Dramaturg/Schauspiel Leipzig) und Bernhard Studlar (Autor/Wiener Wortstaetten).

Der mit einem Preisgeld von € 3.000,- dotierte exil-DramatikerInnenpreis 2024 ist mit einer Uraufführung am Schauspiel Leipzig in der Spielzeit 2025/26 verbunden.

Eine Initiative zur Förderung von Gegenwartsdramatik der WIENER WORTSTAETTEN und des Schauspiel Leipzig in Kooperation mit Verein exil – zentrum für interkulturelle kunst und antirassismusarbeit.

 

Die bisherigen PreisträgerInnen:
Semir Plivac (2007), Ana Bilic (2008), Marianna Salzmann (2009), Olga Grjasnowa (2010), Azar Mortazavi (2011), Valerie Melichar (2012), Susanne Ayoub (2013), Barbara K. Anderlič (2014), Christian Maly-Motta (2015), Mehdi Moradpour (2016), Amirabbas Gudarzi (2017), Alexandra Pâzgu (2018), Emre Akal (2020), Giorgio Ferretti (2022), Yade Yasemin Önder (2024)